Warum spricht man von einer Horizontverschmelzung bei der Hermeneutik?

Antwort

In der Hermeneutik, insbesondere in der philosophischen Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer, spricht man von einer "Horizontverschmel" (Fusion of Horizons), um den Prozess zu beschreiben, bei dem das Verständnis zwischen dem Interpreten und dem zu interpretierenden Text oder Phänomen entsteht. Ein "Horizont" bezieht sich hier auf den gesamten Kontext von Wissen, Erfahrungen, Vorurteilen und Erwartungen, die eine Person mitbringt. Wenn man einen Text oder ein anderes kulturelles Artefakt interpretiert, bringt man seinen eigenen Horizont mit, der durch die eigene historische und kulturelle Situation geprägt ist. Gleichzeitig hat der Text oder das Artefakt seinen eigenen Horizont, der durch die historische und kulturelle Situation seiner Entstehung geprägt ist. Die Horizontverschmelzung beschreibt den dynamischen Prozess, bei dem diese beiden Horizonte aufeinandertreffen und sich gegenseitig beeinflussen. Durch diesen Prozess entsteht ein neues Verständnis, das weder vollständig im Horizont des Interpreten noch im Horizont des Textes verankert ist, sondern eine Synthese beider darstellt. Gadamer betont, dass dieses Verständnis nicht statisch ist, sondern sich ständig weiterentwickelt, da sowohl der Interpret als auch der Text in einem historischen Fluss stehen. Dieser Prozess der Horizontverschmelzung ist zentral für Gadamers hermeneutische Philosophie, da er zeigt, wie Verstehen als ein dialogischer und historisch situierter Prozess funktioniert.

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